Das Leben von Paul Gerhardt

Gräfenhainichen 1607-1622

Der Geburtsort von Paul Gerhardt, Gräfenhainichen, war eine Ackerbürgerstadt in Sachsen-Anhalt und stand Anfang des 17. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Markgrafen von Meißen. Die Stadt hatte bis zum Dreißigjährigen Krieg ca. 1000 Einwohner. Eine Stadtmauer mit Trutzer umgab die Stadt. Ost- und Westtor ermöglichten den Zugang zur Stadt. Gräfenhainichen wurde von 3 ehrenamtlichen Bürgermeistern verwaltet, zu denen auch der Vater von Paul Gerhardt, Christian Gerhardt, gehörte. Jeweils für ein Jahr übernahm einer der Bürgermeister die Aufgabe des „regierenden“. Die beiden anderen standen ihm beratend zur Seite. Am 12. März 1607 wurde Paul Gerhardt in Gräfenhainichen geboren. Seine Mutter stammte aus Eilenburg und war die Tochter des Superintendenten Starcke. Paul Gerhardts Vater war in Gräfenhainchen Landwirt, Gastwirt und Bürgermeister. Schon sehr früh verloren Paul Gerhardt und seine 3 Geschwister (ein Bruder und zwei Schwestern) die Eltern. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater und während seines 14. Lebensjahrs starb die Mutter. Bis 1622 besuchte Paul Gerhardt die Schule in Gräfenhainichen. Hier wurde er in Religion, Gesang, Lesen, Schreiben und Latein unterrichtet. Schon während dieser Schulzeit lernte er geistliche Lieder kennen. Es war üblich, dass die Schüler zu den Gottesdiensten in der Marienkirche die Liturgie sangen.

Fürstenschule in Grimma 1622-1627

Die Fürstenschule, das ehemalige Kloster St. Augustin, war eine Schule für zukünftige Beamte und Geistliche. Kurfürst Moritz von Sachsen-Meißen hatte 1550 die Fürstenschule gegründet. Unterrichtet wurde Religion, Grammatik, Logik, Musik, Regeln der Poesie, alte Sprachen und Rhetorik. Der erste Direktor Adam Siber, ein Schüler Melanchthons, hat mit der Herausgabe seiner Schulbücher die Ausbildung geprägt. Das Ausbildungssystem basierte auf Auswendiglernen von überliefertem Wissen und deren Übersetzung. Daneben nahm die musikalische Erziehung einen breiten Raum ein. Im Musikunterricht wurden liturgische Gesänge für Gottesdienste eingeübt und Chöre u.a. von Orlando di Lasso und Adam Gumpelsheimer. Das oberste Ziel war die Erziehung zum Glauben an Gott und die Bekenntnistreue im „rechten Glauben“. Der Tagesablauf der Schüler war wie in einem Kloster geregelt. Die Kleidung war einheitlich. Die Schüler schliefen in den ungeheizten Klosterzellen. Um 5 Uhr war die Nachtruhe beendet und um 20 Uhr wurden die Zellen zum Schlafen aufgesucht. Im Tagesablauf wechselten sich Unterrichtseinheiten mit Gebetszeiten und Selbststudium ab. Freizeit gab es kaum. Das Klostergelände wurde nur einmal in der Woche zu einem gemeinsamen Spaziergang verlassen. Paul Gerhardt besuchte hier mit seinem älteren Bruder Christian die Schule. Der Bruder, der schon ein Jahr vor ihm die Schule besuchte, kam mit dem strengen Schulwesen nicht zurecht. Er war sogar einmal von dort fortgelaufen und hat die Schule vorzeitig verlassen. Im Schulbuch der Fürstenschule von 1625 gibt es eine lateinische Beurteilung über Paul Gerhardt. Im übertragenen Sinn steht hier, dass er von nicht geringer Begabung ist und Fleiß und Gehorsam zeigt. Sein schriftlicher Ausdruck und seine Verslein werden erträglich genannt.

Theologiestudium in Wittenberg 1628-1642

Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. König Gustav Adolf von Schweden verschonte zwar Wittenberg als Ausgangsort der Reformation. So war auch Gräfenhainichen, der Heimatort Paul Gerhardts, durch den Krieg verwüstet und sein Elternhaus bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Universität von Wittenberg war im 16. und 17.Jahrhundert ein europaweit bekanntes Zentrum der Geisteswissenschaften mit besonderer Pflege lutherischer Theologie. Im Theologiestudium wurde besonders Wert gelegt auf Polemik, Dogmatik, Rhetorik und Poetik. Am 2. Januar 1628 schrieb sich Paul Gerhardt in die Universitätsmatrikel ein. Während seiner Studienzeit wurde das dichterische Schaffen Paul Gerhardts maßgeblich durch die Professoren Buchner und Röber haben beeinflusst. Beide hatten sich besonders um die deutsche Sprache verdient gemacht. Fast 14 Jahre blieb Paul Gerhardt in der Universitätsstadt und verdiente nach dem Studium seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer. In den Kriegsjahren war es für Pfarrer schwer eine Anstellung zu bekommen. Die meisten Gemeinden waren verarmt und konnten sich keinen Pfarrer leisten.

Hauslehrer in Berlin 1643-1651

Auch in Berlin war durch den Dreißigjährigen Krieg die Einwohnerzahl erheblich gesunken. Das Land war zerstört und wirtschaftlich ruiniert. Kurfürst Friedrich Wilhelm strebte einen bandenburg-preußischen Gesamtstaat an. Ihn störten die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten. Er verlangte von ihnen gegenseitige Toleranz. In Berlin wurde Paul Gerhardt Hauslehrer in der Familie des Kammergerichtsadvokaten Andreas Berthold. In dieser Zeit schuf er viele Liedtexte, die Johann Crüger, Kantor an der Berliner Nikolaikirche, vertonte. Crüger veröffentlichte sie in seinem Gesangbuch „PRAXIS PIETATIS MELICA“. 1647 waren darin bereits 18 Lieder von Paul Gerhardt enthalten.

Probst in Mittenwalde 1651-1657

Als Paul Gerhardt nach Mittenwalde kam, war auch dort die Region von den Kampfhandlungen der schwedischen und kaiserlichen Truppen infolge des Dreißigjährigen Kriegs stark verwüstet. Die Einwohnerzahl war 1645 von 1000 auf 250 zurückgegangen. Nach dem Tod des Probstes entschied sich der Magistrat von Mittenwalde, die freie Pfarrstelle wieder zu besetzen. Deshalb wurde Paul Gerhardt am 28. September 1651 zur Probepredigt eingeladen und sie beauftragten ihn mit der Pfarrstelle. Allerdings war dazu die Ordination von Paul Gerhardt erforderlich, die daraufhin am 18. November 1651 in Berlin stattfand. Dort legte er den Eid auf die lutherischen Bekenntnisschriften und die Konkordienformel ab. Vier Jahre nach seinem Amtsantritt heiratete er 1655 Anna Maria Berthold. Ein Jahr später wurde die Tochter Maria Elisabeth geboren, die nur 8 Monate alt wurde. Eine Gedenktafel in der Moritzkirche in Mittenwalde erinnert an sie. Als Probst hatte Paul Gerhardt neben den Amtshandlungen auch die Aufsicht über 11 Pfarrstellen und über Schulen im Bereich Königs Wusterhausen, Gussow, Teupitz, Gräbendorf, Zossen, Ragow, Gallun und Schenkendorf. Ende Mai 1657 traf eine Anfrage an Paul Gerhardt vom Berliner Magistrat in Mittenwalde ein. Darin wurde ihm die zweite Diakonatsstelle an der Berliner Nikolaikirche angeboten.

2. Diakon an St. Nikolai in Berlin 1657-1669

Im Jahr 1643 verlegte Kurfürst Friedrich Wilhelm den Sitz seines Hofes von Königsberg nach Berlin. Obwohl der Kurfürst Friedrich Wilhelm durch die Abgabe von hohen Kontributionen an die Heere das Kriegsgeschehen von der Stadt fernzuhalten versucht hatte, war auch Berlin Opfer von Seuchen, Hunger und Not geworden. Besonders die Pest hatte viele dahingerafft. Viele Häuser standen leer. An der Nikolaikirche war Johann Crüger als Kantor tätig und hat Texte von Paul Gerhardt vertont und sie in mehreren Auflagen der Praxis Pietatis Melica (einem Lieder- und Andachtsbuch) veröffentlicht. Auch Johann Georg Ebeling, der nach dem Tod von Johann Crüger 1662 die Nachfolger des Kantorenamtes an der Nikolaikirche antrat, hat diese Tradition aufgenommen und weitergeführt. Ihm haben wir die Vertonung von 120 Texten von Paul Gerhardt zu verdanken. Ab 1666 wurde Paul Gerhardt in einen Konflikt verwickelt. Kurfürst Friedrich Wilhelm war daran interessiert, in seinem Land Frieden zwischen den verschiedenen Religionen zu haben. Er selbst gehörte mit seinem Hofstaat der reformierten Kirche an. Deshalb verlangte er von den Lutheranern Toleranz gegenüber der theologischen Lehrauffassung der Reformierten. Der Hauptstreitpunkt war das unterschiedliche theologische Verständnis der Sakramente. Für die Lutheraner standen die Reformierten jedoch nicht im „rechten Glauben“. Bald schon sollte der Glaube Paul Gerhardt´s und seine lutherische Bekenntnistreue auf eine harte Probe gestellt werden Der Kurfürst ordnete Religionsgespräche an, weil er sich erhoffte, dass Lutheraner und Reformierte Gemeinsamkeiten erkennen würden. Dieser Erfolg trat nicht ein. Im Gegenteil die Differenzen vertieften sich. Nun verlangte der Kurfürst per Edikt (Weisung) Toleranz von den Lutheranern. Jeder lutherische Theologe hatte dies mit seiner persönlichen Unterschrift zu beglaubigen, sich von nun an gegenüber Andersglaubenden tolerant zu verhalten. Paul Gerhardt unterschrieb aus Gewissensgründen nicht. Daraufhin wurde er seines Amtes enthoben. Die Berliner Bürger, der Magistrat und die Zünfte richteten mehrere Gesuche an den Kurfürsten mit der Bitte, Paul Gerhardt in seinem Amt zu belassen. Kurfürst Friedrich Wilhelm lehnte ab. Erst als die Landstände die Wiedereinsetzung von Paul Gerhardt in sein Amt verlangten, wurde diesem Ansinnen statt-gegeben. Auch wenn Paul Gerhardt die Unterschrift erlassen wurde, ließ der Kurfürst ihm ausrichten, dass er von ihm dennoch ein Verhalten im Sinne des kurfürstlichen Toleranzerlasses erwarte. Dem konnt Paul Gerhardt nach wie vor nicht zustimmen und er verzichtete auf sein Amt. Der Kurfürst ordnete die Neubesetzung des Pfarramtes von Paul Gerhardt an. Der Konflikt mit dem Kurfürsten war in der Berliner Zeit nicht die einzige Sorge, die Paul Gerhardt in dieser Zeit belastet hat. Nachdem drei seiner Kinder gestorben waren, starb auch seine Frau Anna Maria.

Archidiakon an der Lübbener Hauptkirche 1669-1676

Berliner Freunde von Paul Gerhardt hatten von einer wiederzubesetzenden Pfarrstelle im sächsischen Lübben erfahren und machten den Magistrat der Stadt auf Paul Gerhardt aufmerksam.

Am 14 Oktober 1668 hielt er in Lübben eine Gastpredigt. Der Lübbener Magistrat berief ihn daraufhin zum Archidiakon an die Hauptkirche. Bis zu seinem endgültigen Umzug nach Lübben reiste er jeweils zu den Festtagen zum Predigtdienst nach Lübben.

Erst am 6. Juni 1669 wurde er offiziell in sein Amt eingeführt. Mit seinem Sohn Paul Friedrich, seiner Schwägerin Sabina Fromm und dessen Sohn Andreas bezog er das Diakonatshaus in der Kirchstraße. Es ist nicht bekannt, ob Paul Gerhardt in Lübben Lieder gedichtet hat. Von ihm ist eine Beerdigungspredigt erhalten, die damals gedruckt worden ist.

Sein Kontakt zum Lübbener Magistrat war durch einige „Singularitäten“ (Eigenwilligkeiten) von Paul Gerhardt gestört. Der Magistrat wurde ungeduldig, da Paul Gerhardt mit seiner Amtsübernahme in Lübben auf sich warten ließ. Der verspätete Amtseintritt war aber auch zum Teil auf Versäumnisse der Stadt zurückzuführen. Sie hatten ihm unzureichenden Wohnraum angeboten, der außerdem im desolaten Zustand war. Die Instandsetzung seiner Wohnung ging nur langsam voran.

Anlass zur Beschwerde über Paul Gerhardt gab es, als er bei Amtshandlungen nicht wie üblich ein Priesterkäppi trug, sondern eine Perücke. Das erschien den Lübbenern zu weltlich. Auch verboten sie ihm, sich Bier von Torgau zu besorgen.

Die Stadt pochte auf ihr Bierbrauprivileg. Dieses Sonderrecht verbot die Einfuhr von Bier. Einen weiteren Anstoß gab es, als er die „Mittwochspredigten“ vor den Feiertagen ausfallen ließ. Daraufhin beschwerten sich die Stadtväter sogar beim Landesherren, Christian von Sachsen-Merseburg.
Kurz vor seinem Tod verfasste Paul Gerhardt ein Testament an seinen Sohn Paul Friedrich. Es ist ein ungewöhnliches Testament, denn es geht darin um Verhaltens-Empfehlungen. Paul Friedrich Gerhardt überließ später dieses Testament dem Superintendenten Feustking in Zerbst samt allen Liedtexten seines Vaters. In einem Gesangbuch wurden die Lieder Paul Gerhardts durch Feustking veröffentlicht und das Testament innerhalb des Vorworts gedruckt. So konnte es uns überliefert werden.

Paul Gerhardt starb am 27. Mai 1676 und wurde am 7. Juni im Altarraum der Lübbener Hauptkirche beigesetzt. Die Stelle ist jedoch nicht bekannt.

Die Stadt Lübben ehrte Paul Gerhardt 1907 anlässlich seines 300. Geburtstages mit der Aufstellung eines Denkmals vor der Kirche. Auch die Umbenennung der Lübbener Hauptkirche 1931 in „Paul-Gerhardt-Kirche“, die davor umfangreich renoviert worden war, ist eine weitere Würdigung des Liederdichters durch die Lübbener

Der 400. Geburtstag Paul Gerhardts im Jahr 2007 war Anlass zu einer umfassenden Innen- und Außensanierung der Kirche und der Gestaltung des Kirchenumfeldes.

Lübben trägt seit dem Jubiläumjahr 2007 den Zusatz „Paul-Gerhardt-Stadt“.