Paul-Gerhardt-Kirche Lübben
Predigt am 8. Mai 2022 zu Gott Lob, nun ist erschollen (EKG 392)
Liebe Gemeinde,
Gott Lob, nun ist erschollen
das edle Fried- und Freudenwort,
dass nunmehr ruhen sollen
die Spieß und Schwerter und ihr Mord.
1653 ist dieses Lied zum ersten Mal in Berlin gedruckt worden. Entstanden ist es aber schon einige Jahre
früher unter dem Eindruck des Friedensschlusses in Jahr 1648. Genaue Nachrichten über die Umstände,
unter denen Paul Gerhardt den Text geschaffen hat, sind nicht überliefert. Der Berliner Kantor Johann
Crüger hat das Lied in sein Gesangbuch Praxis Pietatis Melica aufgenommen. Dort steht es als eines von
vier Liedern in der Rubrik Danklieder für den Frieden.
Gott Lob – es ist endlich Frieden eingekehrt nach 30 langen Jahren der Verwüstung, der Brandschatzung,
des Hungers, des Elends und der Pest. Gott Lob. Die Waffen schweigen, es gibt neue Hoffnung.
Heute ist der 8. Mai, der Tag der Erinnerung an den Tag der Befreiung. Am 8. Mai 1945 endete der
Zweite Weltkrieg. Gott Lob! Vorbei die Bombennächte, vorbei das Kämpfen und sinnlose Morden. Die
Türen der Gefängnisse und Konzentrationslager öffnen sich. Es gibt Aussicht auf einen Neubeginn.
Heute feiern wir den Sonntag Jubilate. Das Osterfest hallt nach – der große Sieg Gottes über den Tod.
Gott Lob! Heute aber, im Jahr 2022, schauen wir bang und sorgenvoll auf den Krieg in der Ukraine. Es ist
ausgeschlossen, sich in dankbarer geschichtlicher Erinnerung zurückzulehnen, während in Europa ein
Volk brutal überfallen wird. Der Osterjubel ist überschattet von der Todesrealität dieses Krieges. Seine
räumliche Nähe macht auch uns Angst. Die Auswirkungen treffen auch uns. Die Bilder der täglichen
Kriegsnachrichten stehen vor Augen, wenn wir den Text unseres Liedes hören.
Nur am Beginn des Liedes stimmt Paul Gerhardt den hohen Ton des Gotteslobs an.
Gott Lob, nun ist erschollen
das edle Fried- und Freudenwort,
dass nunmehr ruhen sollen
die Spieß und Schwerter und ihr Mord.
Wohlauf und nimm nun wieder
dein Saitenspiel hervor,
o Deutschland, und sing Lieder
im hohen, vollen Chor!
Erhebe dein Gemüte
zu deinem Gott und sprich:
Herr, deine Gnad und Güte
bleibt dennoch ewiglich.
Das ist die erste von sechs Strophen. Nur noch zweimal wird der Frieden erwähnt: in der dritten Strophe
spricht der Dichter ihn direkt an:
Sei tausendmal willkommen,
du teure, werte Friedensgab!
Am Ende des Liedes gibt es einen Ausblick auf den ewigen Frieden bei Gott.
Friedensschluss heißt Waffenstillstand und insofern zunächst nichts anderes als das Ende des Krieges.
Wirklicher Frieden, der diesen Namen verdient, stellt sich erst später ein. Der Frieden, an dem sich
Menschen und Völker freuen können, der Sicherheit und Auskommen bedeutet, dieser Frieden muss erst
noch errungen werden. Das ganze Elend und der ganze Jammer der Nachkriegszeit bietet wenig Anlass
zum Jubeln. Das war 1648 nicht anders als 1945.
Paul Gerhardts Lied ist deswegen auch kein Jubel- und Freudenlied, sondern ganz überwiegend und im
Kern ein Bußlied. Buße meint Innehalten. Buße bedeutet schonungslose Rückschau auf das, was gewesen
ist. Buße ist die Konfrontation mit eigenem Versagen, mit eigener Schuld. Buße ist darum individuell. Wir
werden gefragt: Was hast du, du als eigenverantwortlicher Mensch, getan und unterlassen?
Hier trübe deine Sinnen,
o Mensch, und lass den Tränenbach
aus beiden Augen rinnen,
geh in dein Herz und denke nach. (Str. 5)
Doch Krieg trifft nicht nur Einzelne, sondern alle miteinander. Es geht also nicht nur um das Ich,
sondern auch um das Wir des Volkes. So sehr einzelne nach ihrer Verantwortung gefragt werden, so gibt
es auch die Schuldverflochtenheit Vieler, die sich nicht einfach auflösen lässt.
Wir haben nichts verdienet
als schwere Straf und großen Zorn,
weil stets noch bei uns grünet
der freche, schnöde Sündenborn.
Wir sind fürwahr geschlagen
mit harter, scharfer Rut,
und dennoch muss man fragen:
„Wer ist, der Buße tut?“
Diese zweite Strophe endet mit einer für Paul Gerhardt typischen Sentenz, ein rhetorischer Edelstein:
Wir sind und bleiben böse,
Gott ist und bleibet treu,
hilft, dass sich bei uns löse
der Krieg und sein Geschrei.
Ja, Krieg ist mit schrecklichem Geschrei verbunden. Gegenseitige Verleumdungen, haarsträubende
Geschichtsklitterung, abstruse Rechtfertigung von Kriegsgräueln. Das erste Opfer des Krieges ist die
Wahrheit – das hat wohl auch im 17. Jahrhundert schon gestimmt – heute stimmt es allemal. Und das hört
auch nicht einfach auf, wenn die Waffen schweigen. Denn: wir sind und bleiben böse!
Der Ausweg liegt darin, sich der Treue des treuen Gottes anzuvertrauen. Die verrutschten Maßstäbe des
Handelns – individuell und kollektiv – kommen in Ordnung, wenn Gottes Gebote wieder beachtet
werden. Denn sie orientieren uns auf Ausgleich, Gerechtigkeit und Frieden hin.
Ach lass dich doch erwecken,
wach auf, wach auf, du harte Welt,
eh als das harte Schrecken
dich schnell und plötzlich überfällt.
Wer aber Christum liebet,
sei unerschrocknen Muts;
der Friede, den er gibet,
bedeutet alles Guts.
Paul Gerhardt hält in seinem Bußlied wenig Trost für die singende Gemeinde bereit. Gott Lob – der
Krieg ist aus. Aber wie sieht die Welt um uns herum aus? Zunächst stellt sich große Erleichterung ein:
Sei tausendmal willkommen,
du teure, werte Friedensgab!
Jetzt sehn wir, was für Frommen
dein Bei-uns-wohnen in sich hab.
In dir hat Gott versenket
all unser Glück und Heil.
Aber wie schnell geht der Frieden verloren! Die zarte, warme Flamme einer Kerze ist allzu rasch gelöscht.
So geht es auch mit dem Frieden – er entschwindet, wenn er nicht gepflegt und behütet wird. Erst, wenn
der Frieden schwindet, wird seine Kostbarkeit wieder bewusst. Vorher – Unverstand.
Wer dich betrübt und kränket,
der drückt sich selbst den Pfeil
des Herzleids in das Herze
und löscht aus Unverstand
die güldne Freudenkerze
mit seiner eignen Hand.
Der Friedensschluss macht die die inneren und äußeren Verheerungen des Krieges in all ihrer
Grausamkeit vor aller Augen sichtbar. Das löst keine Freude, sondern abgrundtiefe Traurigkeit aus:
Das drückt uns niemand besser
in unsre Seel und Herz hinein
als ihr zerstörten Schlösser
und Städte voller Schutt und Stein,
ihr vormals schönen Felder,
mit frischer Saat bestreut,
jetzt aber lauter Wälder
und dürre, wüste Heid,
ihr Gräber voller Leichen
und blutgen Heldenschweiß‘
der Helden, deren gleichen
auf Erden man nicht weiß.
Paul Gerhardt, den wir als großartigen Dichter des Trostes kennen, ist diesmal sparsam. Der Bußernst des
Liedes bleibt bis zum Schluss. Allerdings ändert Gott seine Taktik. In der vorletzten Strophe leuchtet ein
Bibelwort auf: Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? So fragt Paulus im Brief an die
Gemeinde in Rom. (Röm 2,4) Wenn all die Schrecken des Krieges es nicht vermocht haben, Umkehr zu
bewirken – dann wird es jetzt hoffentlich die Wohltat des Friedensschlusses schaffen.
Was Gott bisher gesendet,
das hast du ausgelacht;
nun hat er sich gewendet
und väterlich bedacht,
vom Grimm und scharfen Dingen
zu deinem Heil zu ruhn;
ob er dich möchte zwingen
mit Lieb und Gutestun.
Der Trost dieses Liedes verbirgt sich und ist doch überdeutlich vernehmbar. Die Gemeinde, die Paul
Gerhardts Bußlied singt, hört mit der Melodie zugleich den anderen Text mit, der unlöslich mit dieser
Melodie verbunden ist: Nun lob mein Seel den Herren. Die Melodie und mit ihr der Text war der
Gemeinde bekannt. Denn im Gesangbuch von Johann Crüger steht der Text ohne die Melodie und nur
mit dem Hinweis versehen, dass das Lied nach dieser Melodie zu singen ist.
Schon mit den ersten Worten stellt Paul Gerhardt den Bezug her: Gott Lob – Nun lob. Das ist kein
Zufall. Das alte Psalmlied klingt wie ein Kommentar zum Lied von Paul Gerhardt. Es gibt die Antwort des Glaubens auf die verheerende Situation kurz nach dem Krieg. Ja, es stimmt – wir sind und bleiben
böse. Die Treue Gottes, die Gerhardt nur benennen kann, wird im Psalmlied als Trost konkret:
Hat dir dein Sünd vergeben
und heilt dein Schwachheit groß;
errett dein armes Leben,
nimm dich in seinen Schoß,
mit reichem Trost beschüttet,
verjüngt, dem Adler gleich;
der Herr schafft Recht, behütet,
die leidn in seinem Reich.
Gottes Güte ohne Maßen, seine Barmherzigkeit und Zuwendung zu den Schwachen, das Absehen von
unserer Schuld und ihre Vergebung, davon singt die zweite Strophe – es ist ein einziger großer Zuspruch
mitten in eine Katastrophe hinein gesungen.
Und heute, liebe Gemeinde? Beide Lieder schauen voller Realismus auf uns Menschen, unser Tun und
Lassen. Das Psalmlied, das durch seine starke Melodie auch im Bußlied Paul Gerhardts mitklingt, strahlt
Hoffnung aus. Die Gnade Gottes wird bleiben und sie wird das letzte Wort nach allem Kriegsgeschrei
haben. Manchmal haben wir die Hoffnungsbilder des Glaubens nur im Modus der Sehnsucht zur
Verfügung. Aber in solchen schweren Zeiten, seien sie durch persönliches Schicksal und Krankheit oder
durch das Weltgeschehen verursacht, in solchen schweren Zeiten sind die Hoffnungsbilder des Glaubens
auch als Sehnsucht in uns wirksam. Wir bergen uns in der Hoffnung, dass Tod und Not nicht das letzte
Wort haben werden. Gott Lob!
Dr. Ilsabe Alpermann