Predigt: Ulrike Voigt, Superintendentin des Ev. Kirchenkreises Lübben (Spreewald),
Mitglied der Kirchenleitung der EKBO
Paul-Gerhardt-Kirche Lübben (Spreewald)
Gemeinde EG 112 Str. 1+2
Predigttext und Liedtext unter: weitere Infos
Liebe Gemeinde,
auf, auf!
Nicht sitzen bleiben! Liegen schon gar nicht!
Aufstehen, losgehen!
Aufwärts, nach oben!
Auf, auf!
Da ist etwas Drängendes. Da ist etwas, dem man sich nicht widersetzen kann.
Das kommt von der Verdopplung dieses kleinen, ersten Wortes unseres Osterliedes.
Ob ich will oder nicht, ich werde in Bewegung gebracht.
?Auf, auf!? Das kann eine freundliche, aber starke Ermunterung sein, aber auch ein unfreundlicher Befehl.
Als Beginn unseres Osterliedes ist es, ganz klar, eine freundliche Ermunterung: Auf, auf, mein Herz, mit Freuden!
Eine Aufforderung, die Paul Gerhardt zuerst, dann der Sänger oder die Beterin an sich selbst richtet: Auf, auf, mein Herz!
Und auf diese Aufforderung darf es als Antwort kein müdes Stöhnen geben, kein abgeklärtes ?Mach mal langsam!? und keine depressive Ignoranz. Nein, Freude ist gefordert.
Ob ich will oder nicht, ich muss erst einmal hinschauen. In freudiger Erwartung dessen, was ich sehen werde: ?Nimm wahr, was heut geschicht?, geschieht!?. Die Geschichte von heute.
Heute ist Ostern. Heute geschieht Ostern für mich und für dich, dichtet Paul Gerhardt.
Was bekommen wir zu sehen, wenn wir hinschauen?
Ein spannendes Schauspiel, ein Stück um Leben und Tod, Himmel und Hölle.
Dass es ein Stück sein könnte, bei dem ich nicht draußen bleiben kann, ahne ich schon in der ersten Strophe: ?Mein Heiland war gelegt, da wo man uns hinträgt?.
?Mein Heiland? ist die Hauptperson dieses Stückes.
Unlöslich bin ich mit ihm verbunden. Sein Schicksal ist auch mein Schicksal.
Und: wir haben denselben Ort, mein Heiland Jesus Christus und ich: Das Grab.
Gleich zweimal wird es genannt. am Ende der ersten Strophe indirekt, und am Anfang der zweiten Strophe ganz direkt.
Das Grab ist der Ort, an dem das Osterschauspiel seinen Ausgang nimmt. Das Grab als Spielort. Ein Widerspruch in sich.
In unserer Erfahrung ist am Grab alles zu Ende. Der ? nach menschlichem Ermessen ? endgültige Abschied. Der Ort, um sich zu erinnern. Schmerzvoll meistens, wenn es gut geht, zunehmend auch dankbar.
Die meisten Menschen sind für uns vergessen, wenn ihr Grab nicht mehr ist. Die Menschen zum Beispiel, deren Gebeine vor wenigen Monaten bei der Neugestaltung des Vorplatzes vor der Lübbener Kirche gefunden wurden.
Andere Grabstätten bleiben, und damit bleibt ein Stück Erinnerung. Hier in dieser Kirche die prächtigen Epitaphen, wie das des Generalsuperintendenten der Niederlausitz zur Zeit Paul Gerhardts, Johann Hutten. Oder das Grab von Paul Gerhardt, auch in dieser Kirche, auf das die Messingtafel hier im Altarraum hinweist.
Mit den Gräbern der meisten von uns wird es wohl so sein wie mit den Gräbern der Unbekannten hier vor unserer Kirche.
Doch das Epitaph kann noch so prächtig sein, für Johann Hutten war ? nach menschlicher Erfahrung – sein Leben zu Ende, als er hier begraben wurde. Auch für Paul Gerhardt.
Jetzt aber, heute, Ostern, fängt hier in einem dieser Gräber, besser wohl: in jedem dieser Gräber, etwas an. Ein Schauspiel besonderer Art. Paul Gerhardt beschreibt es in seinem Osterlied kurz und knapp, mit einer einzigen Strophe. Nein, das stimmt nicht! Es sind zwei Strophen, eine ist in der Gesangbuchausgabe des Liedes gestrichen.
Die erste haben wir gerade gesungen. Kurz und knapp schildert Paul Gerhardt das Ostergeschehen als lebendiges Schauspiel. Ich sehe vor mir viele Auferstehungsbilder, auf denen Christus genau so dargestellt ist: Ein steinerner Sarkophag, dessen Deckel geöffnet ist, und daraus steigt Christus, lebendig, die Siegsfahne schwenkend. Paul Gerhardt hört ihn sogar rufen: Victoria! Sieg! und sieht, wie er die Fahne hin und her schwenkt.
Welche Siegesfreude, auch für Jesus Christus selbst. Ja, überwunden! Lebendig, frei!
Ich habe noch den Osterpsalm im Ohr: ?Man singt mit Freuden vom Sieg?. ?Die Rechte des Herrn behält den Sieg!? Und damit eben Feld, das ist das Schlachtfeld, und den Mut.
Ja, das Schlachtfeld. Das beschreibt Paul Gerhardt in der im Gesangbuch fehlenden Strophe:
Der Held steht aus dem Grabe
Und sieht sich munter üm,
Der Feind liegt und legt abe (ab)
Gift, Gall und Ungestüm.
Er wirft zu Christi Fuß
Sein Höllenreich: und muss
Selbst in des Siegers Band
Ergeben Fuß und Hand.
Ein schönes Schauspiel: Der Herr des Höllenreiches begibt sich freiwillig in Gefangenschaft.
Ja, wirklich, ein Freudenspiel!
Gemeinde singt Str. 3 und 4 (Das ist mir anzuschauen?)
In der Tat, es ist mein Grab, dieses Schlachtfeld.
In meinem Grab ist der Sieg über den Tod schon errungen.
Für mich.
Es ist unerheblich, ob in einigen hundert Jahren jemand meine Gebeine findet und nicht weiß, zu wem sie gehören, oder ob dann immer noch ein prächtiger Grabstein da ist. Das Grab ist nicht mehr die letzte Station. Unsere Namen werden nicht ausgelöscht und vergessen sein.
Als Paul Gerhardt dieses Lied 1647 in Berlin veröffentlicht, ist der Dreißigjährige Krieg noch nicht zu Ende.
Ich stelle mir vor, wie gegenwärtig der Tod in den vergangenen Jahrzehnten war, nicht nur für die Soldaten auf den blutigen Schlachtfeldern, sondern auch für die Menschen in den Städten und Dörfern. Raub, Plünderungen, Mord, Pest. Gestern erst sind wir mit dem Kahn zum Wussegk gefahren, dieser kleinen Insel mitten im Spreewald bei Schlepzig, auf die sich die Menschen im Dreißigjährigen Krieg aus Lübben und Schlepzig flüchteten, zusammen mit ihrem Seelsorger Johann Hutten. So groß war die Angst vor dem Tod.
Und da wird es Ostern. Vielleicht fast unbemerkt von den verängstigten Menschen? Vielleicht gar nicht wahrgenommen in all dem täglichen Elend?
?Auf, auf?, so müssen die Herzen ermuntert und ermutigt werden, überhaupt hinzusehen. Ostern wahrzunehmen. Seht, nehmt wahr: Ostern ist die Hoffnung in der hoffnungslosen Welt. Ostern ist die Gegenwirklichkeit zu den Gräbern des Alltags. Ja, mehr noch, Ostern verwandelt alle diese Gräber ? und die Angst der Menschen vor dem allgegenwärtigen Tod. Wenn sie es doch nur wahrnähmen, wenn sie doch nur hinsähen! ?Auf, auf!?
Mir fällt ein, dass es noch eine ganz bekannte Strophe gibt bei PG, die so beginnt: ?Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht! Lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht.?
Die 7. Strophe in Paul Gerhardts großem Trostlied ?Befiehl du deine Wege? beginnt auch genau so. Wie viel freundliche Ermunterung ist nötig in Paul Gerhardts Zeit, damit die Menschen aufsehen aus ihrer Not und ihren Ängsten und ihrer Resignation!
Wie ist es heute?
Wir rechnen mit dem Tod eigentlich erst am Ende eines langen Lebens. Wir können auch damit rechnen, relativ alt zu werden. Wenn der Tod jedoch unerwartet in unser Leben einbricht, wenn wir in jüngeren oder mittleren Jahren todkrank werden, wenn Jugendliche bei Autounfällen sterben oder wir gar Kinder begraben müssen, dann fürchten wir den Tod wie die Menschen zu Paul Gerhardts Zeiten die Pest.
Es ist vor allem der Schmerz, alles Irdische loslassen zu müssen ? oder, anders herum, uns von einem lieben Menschen trennen zu müssen.
Heute ist bei vielen Menschen die Angst vor einem langen, qualvollen Sterben stärker als die Angst vor dem Tod; jedenfalls solange der noch weit genug weg ist.
Gemeinde: Str. 5 und 6
Paul Gerhardt beschreibt, wie er als Teil des Leibes Christi Jesu Weg mitgeht. Das ist nun wirklich kein Osterspaziergang, sondern eher ein Höllenritt.
Natürlich ist da vom Tod die Rede, als einer Station auf diesem Weg. Paul Gerhardt beschreibt aber auch, dass es durchaus andere Dinge sind, die einem Menschen zur Hölle werden können: Welt, Sünde und Not. Trübsal und Unglück.
Wir können alle die Dinge hier mit eintragen, die uns zu schaffen machen, vielleicht sogar uns das Leben zur Hölle werden lassen: Körperliche und psychische Krankheit, Alkoholismus und Arbeitslosigkeit, gestörte Beziehungen und Zukunftsängste.
?Ich bin stets Christi Gesell?, sagt Paul Gerhardt. Ja, ich bin sogar ein Glied am Leib Christi, ein Teil von ihm selbst. Da kann ich gar nicht verloren gehen. Ich bin so unlöslich mit IX verbunden, wie die Glieder meines Leibes ein Ganzes sind.
Zu Christus zu gehören bedeutet aber nicht, von allem Unglück verschont zu bleiben. Nein, Tod, Welt, Sünde, Not, ja die Hölle sind ja die Stationen unseres gemeinsamen Weges. Die Frage, die viele von uns so oft umtreibt, warum tut Gott mir das an, diese Frage stellt Paul Gerhardt nicht. Das Leben im Glauben ist kein unbeschwerter Osterspaziergang. Ja, der Weg durch Leid und den Tod hindurch ist unabdingbar und notwendig. Er bleibt auch mir nicht erspart. Aber wir wissen, wie es ausgehen wird. Da ist seit Ostern nichts mehr offen. Am Ende dieser vielleicht strapaziösen Reise steht ganz sicher der Sieg über Hölle, Not und Tod.
Auf die Hölle folgt der Himmelssaal, der ?Saal der Ehren?. Dort werde ich bleiben, und nicht an den Orten des Schreckens. Wie einen Schild will Paul Gerhardt seinen Glauben an Jesus Christus vor sich hertragen, wenn es schwierig wird.
An der Pforte des Himmels steht ein Trostwort. In Paul Gerhardts Himmel natürlich gereimt. Es sind zwei Verse aus dem 2. Timotheus:
?Sterben wir mit, so werden wir mit leben;
dulden wir, so werden wir mit herrschen;
verleugnen wir, so wird er uns auch verleugnen;
sind wir untreu, so bleibt er doch treu;
denn er kann sich selbst nicht verleugnen.?
Es sind goldene Worte, denn sie sind für Paul Gerhardt so wertvoll ? und so gewichtig.
Ich weiß nicht, ob sie auch für mich tröstlich und hilfreich sein können. Ich merke, dass mir diese letzte Strophe seltsam fern bleibt, die ja den Zielpunkt bildet des ganzen, schönen Osterliedes. Vielleicht geht es Ihnen ja anders. Möglicherweise bewährt sich diese Strophe ja auch für mich noch einmal in einer Situation, die ich mir heute noch nicht vorstellen kann.
Liegt es vielleicht daran, dass Paul Gerhardt uns davor stehen bleiben lässt, vor der Himmelspforte?
In anderen Liedern hat er den Himmel ja bilderreich beschrieben.
Fehlt hier nur der Schritt durch das Himmelstor hindurch?
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Schwung des Liedes in dieser letzten Strophe gebremst wird, dieser Schwung, der mit dem ?Auf, auf!? begann und sich durch das ganze Lied zieht, auch von dieser wunderbaren Melodie aufgenommen wird, die Johann Crüger dazu gemacht hat.
Aber vielleicht ist es ja auch das: Endlich tritt Ruhe ein. ?Der Heiland ist mein Schild, der alles Toben stillt?. Endlich angekommen. Die Bewegung verlangsamt sich und der Lärm ebbt ab. Und nun, ganz in Ruhe und bedächtig, den Schritt tun durch die Pforte des Himmels. Amen
Liedtext:
- Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschied; wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt, wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist. - Er war ins Grab gesenket, / der Feind trieb groß Geschrei; / eh er?s vermeint und denket, / ist Christus wieder frei / und ruft Viktoria, / schwingt fröhlich hier und da / sein Fähnlein als ein Held, / der Feld und Mut behält.
- Der Held steht auf dem Grabe / und sieht sich munter um, / der Feind liegt und legt abe / Gift, Gall und Ungestüm, / er wirft zu Christi Fuß / sein Höllenreich und muss / selbst in des Siegers Band / ergeben Fuß und Hand.
- Das ist mir anzuschauen / ein rechtes Freudenspiel; / nun soll mir nicht mehr grauen / vor allem, was mir will / entnehmen meinen Mut / zusamt dem edlen Gut, / so mir durch Jesus Christ / aus Lieb erworben ist.
- Die Höll und ihre Rotten, die krümmen mir kein Haar; / der Sünden kann ich spotten, / bleib allzeit ohn Gefahr. / Der Tod mit seiner Macht / wird nichts bei mir geacht?: / er bleibt ein totes Bild, / und wär er noch so wild.
- Die Welt ist mir ein Lachen / mit ihrem großen Zorn, / sie zürnt und kann nichts machen, / all Arbeit ist verlorn. / Die Trübsal trübt mir nicht / mein Herz und Angesicht, / das Unglück ist mein Glück, / die Nacht mein Sonnenblick.
- Ich hang und bleib auch hangen / an Christus als ein Glied; / wo mein Haupt durch ist gangen, / da nimmt er mich auch mit. / Er reißet durch den Tod, / durch Welt, durch Sünd, durch Not, / er reißet durch die Höll, / ich bin stets sein Gesell.
- Er dringt zum Saal der Ehren, / ich folg ihm immer nach / und darf mich gar nicht kehren / an einzig Ungemach. / Es tobe, was da kann, / mein Haupt nimmt sich mein an, / mein Heiland ist mein Schild, / der alles Toben stillt.
- Er bringt mich an die Pforten, / die in den Himmel führt, / daran mit güldnen Worten / der Reim gelesen wird: / ?Wer dort wird mit verhöhnt, / wird hier auch mit gekrönt; / wer dort mit sterben geht, / wird hier auch mit erhöht.?