Eröffnungsgottesdiest zum Paul-Gerhardt-Jahr 2007
Paul-Gerhardt-Kirche Lübben (Spreewald)
mit Bischof Martin Huber und dem Kapellknabenchor Dresden
Der Dichter lebt mitten unter uns
Die Lübbener Paul-Gerhardt-Kirche glich gestern Nachmittag einem Wallfahrtsort.Die vielen Bänke und das Gestühl reichten nicht, alle Besucher aufzunehmen. Das Gotteshaus war auserkoren, dass in ihm die Eröffnungsfeier zum 400. Geburtstag seines Namensgebers stattfinde.
VON KLAUS WILKE
Ein Gag entspross dem Gedanken, dass man den Dichter als ganz gegenwärtig nahe bringen müsse. Was liegt da näher, als ihn zu uns zu holen? Wer in die Kirche trat, wurde von PaulGerhardt selbst begrüßt. Er wies alle, wie sie eingeladen oder aus eigenem Interesse oder Neugier kamen, auf ihre Plätze. Welche Nähe aber auch! Welche Ähnlichkeit! Ist er aus dem Kristallfenster herabgestiegen oder aus dem Ölgemälde, dem einzigen in Deutschland, das ihn in Lebensgröße zeigt? Ein Blick dorthin. Nein, sie sind unversehrt wie die anderen Zeichen seiner früheren Existenz, die Kopie seines Ornats, eine Gedenktafel oder das Denkmal vor der Kirche.
Ein Alter von fast 400 Jahren ? der Geburtstag ist am 12. März zu feiern ? nimmt man diesem Gerhardt von gestern Nachmittag aber doch nicht ab. Nach dem Gottesdienst wird er zurück in seine „Zivilsachen“ schlüpfen und wieder Helmut Haß heißen. Seine Aufgabenfülle ist damit nicht erledigt. Er ist Mitglied im Paul-Gerhardt-Verein von Lübben, der sich seit zwei Jahren auf dieses große Jubiläum vorbereitet, das mit weiteren Gottesdiensten, Konzerten, Liederabenden, Vorträgen und Diskussionsabenden gestaltet wird.
Wie er sich fühlt? ?Wie beim Amtsantritt?, antwortet er zwischen zweiHändeschütteln. Weiterfragendes Stirnrunzeln. Er lässt aber keinen Zweifel, dass er bei der Rolle des Tages ? Paul Gerhardt ? bleibt: ?Ja, 1668, als ich meine erste Predigt in Lübben gehalten hatte.? Dann tritt er doch für Sekunden aus der Rolle: ?So einen Tag wie heute erlebt man nur einmal im Leben.? Aber könnte nicht auch das ein Wort des berühmtesten Sohnes der Stadt Lübben sein? Wenn man Helmut Haß an diesem Tage in dem festlichen Ornat sieht, wirbt die Idee für sich, dass Paul Gerhardt mitten unter
uns lebt.
Die Historie will es übrigens so, dass die Kirche in ihrer heutigen Gestalt das gleiche Geburtsjahr
Wie Paul Gerhardt hat. 1607 wurde mit ihrem Bau begonnen. Und es war ein junges Gebäude, als Paul
Gerhardt hier zu predigen begann. Und er predigte nicht nur. Er hatte immer ein Ohr für seine Gemeindemitglieder, sog nicht nur auf, wie sie geirrt und gefehlt hatten, sondern gab auch Rat. Gott fehlte nie darin. Wie er auch in fast allen seinen Liedern vorkommt. Doch die muss man gut lesen. Dann kommt sicher ein Nicht-Christ oder Atheist zu dem Ergebnis: Dieser Dichterpfarrer muss ein ausgezeichneter Psychotherapeut gewesen sein. Der Eindruck verstärkt sich, wenn man bedenkt, dass Paul Gerhardt an einem diesigen Januarnachmittag Hunderte von Menschen auf die Beine gebracht hat. Vielleicht hat auf das Warum Bischof Wolfgang Huber eine Antwort.
Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland hielt in dem ökumenischen gesamtchristlichen) Festgottesdienst die Predigt. Er erinnerte darin, dass Gott dem Jesuskind Geist, Sinn, Herz, Seele als Geschenke in die Wiege gelegt habe, die besten und schönsten Gaben für jeden
Menschen. Und wie sähe die Welt aus, fragt Huber, wenn alle Menschen diese Gaben wieder Gott zugutekommen ließen? Man könnte, wenn man mit Gott nichts anzufangen weiß, auch sagen: wenn Menschen mit allen ihren Fähigkeiten und als freie Wesen für andere Menschen wirken. Gibt es ein schöneres Bild, als zu sagen: Gott nimmt Wohnung bei den Menschen, wie der Bischof Paul Gerhardt interpretiert. Und kann man von so einem Dichter nicht behaupten, er lebe vierhundertjährig noch unter uns?
Als Paul Gerhardt, der in Gräfenhainichen geboren wurde, elf Jahre alt wurde, begann ein Krieg, der 30 Jahre dauern sollte und vorher nie gekanntes Elend über die Menschen gebracht hat. Mit 14 war Paul Gerhardt Waise. Er besuchte eine Eliteschule, studierte Theologie und wurde Hauslehrer. 1651 trat er in Mittenwalde seine erste Pfarrstelle an. Von 1657 bis 1666 war er Pfarrer an St. Nicolai Berlin. Theologische Lehrstreitigkeiten führten zur Amtsenthebung. ?Er war eben ein Mann mit Charakter. Nur wer einen Standpunkt hat, ist dialogfähig?, würdigte ihn gestern über alle Konfessionsgrenzen hinweg der amtierende Bischof Hubertus Zomack vom katholischen Bistum Görlitz. Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) nannte ihn auch ?einen großen Brandenburger?. Danach kam Gerhardt nach Lübben. Der Karriereknick war für die Spreewaldstadt ein Glücksfall. Der Pfarrer hatte bald großes Ansehen.
Überliefert sind 139 Lieder. 27 von ihnen haben Aufnahme in das evangelische Kirchengesangbuch gefunden. Einige singen auch die Katholiken. Einige wurden sogar vom berühmten Bach vertont. Manchmal, wenn man diese Lieder aufschlägt, trifft einen Gerhardts Gegenwärtigkeit wie ein Blitzlicht. So wenn es heißt: ?Ich bin ein Gast auf Erden.? Gehen wir denn mit dem uns Gegebenen
um, als wären wir nur Gäste? Ein wunderschönes Lied von Paul Gerhardt heißt ?Die Güldne Sonne?.
Darin finden sich die Zeilen:
?Mein Haupt und Glieder, lagen darnieder,
aber nun steh ich, bin munter und
fröhlich, schaue den Himmel mit
meinem Gesicht.?
Er wusste, was die Sonne uns bedeutet. Für ihn war sie Symbol für göttliche Gnade. Paul Gerhardt hätte Freude gehabt an der Musik an diesem Tage in der Kirche mit seinem Namen. Höhepunkt war das Konzert der katholischen Dresdner Kapellknaben. Es erklang auch Gerhardts bekanntestes und schönstes Lied ?Nun ruhen alle Wälder?.
Stehende Ovationen in einer Kirche. Er war unter uns.